Rellingen - Allerlei

Der Griemsche Hof

Der folgende Bericht über den “Griemschen Hof” (GH) entstand nach den 1990 von Gerhard Schiewe aus Rellingen erstellten handschriftlichen Aufzeichnungen. Herr Schiewe (*1933, +2004) kannte den GH aus eigener Anschauung, bezog dort als sechsjähriger mit der Familie eine Wohnung.

Der sogenannte GH stand in Rellingen, an der Altonaer Straße 139, 139a und 141. Nach dem Ausbau der B5/ A23 hieß die Adresse Ahornstraße 17.
 

Der “Griemsche Hof”

Der Hof, 1990, nördlich der A23 auf Rellinger Gebiet als Ruine liegend, war bis Ende der zwanziger Jahre ein Baumschulbetrieb der Familie Griem. Daher blieb der Name “Griemscher Hof” als ständiger Begriff in der ansässigen Bevölkerung erhalten.
Nach Aufgabe des Baumschulbetriebes war der Hof kurzfristig Betriebshof für die Fahrzeuge der damals bestehenden Auto- Omnibus- Gesellschaft- Rellingen. Die umliegenden Ländereien wurden von verschiedenen neuen Besitzern erworben (Laubenstraße, Heidkampsweg, Moorkampsweg). Das Hofgrundstück mit den vorhandenen 2 Gebäuden erwarb der Möbelhändler Timm aus Altona. Das ehemalige Wohnhaus mit Obergeschoss hatte mindestens 15 Räume und das Wirtschaftsgebäude mit Obergeschoß mehrere Arbeiterwohnräume, Pferdeställe, Lagerräume, großen Packraum und große Pflanzenzählkeller.. Diese Gebäude ließ Timm zu Wohnungen mit einem oder zwei Zimmern umbauen. Die Erdgeschosswohnungen bekamen einzeln Türen nach außen. Es wurden vor die Türen kleine Vorbauten vorgesetzt, sogenannte Windfänge. Die Obergeschosswohnungen waren von einem zentral gelegenen Flur zugänglich. Außerdem wurde an der Straße ein Flachdachgebäude errichtet mit 3 Wohnungen und zwei Läden.
Timm ließ auf ein abgeteiltes Grundstück für sich ein Wochenendhaus errichten, da er in Altona eine Wohnung besaß. So waren an Mietwohnungen 21 Stück entstanden. Als Baumaterial verwendete Timm ausschließlich Abbruchmaterial aus dem Hamburger Gängeviertel *, das damals gerade saniert wurde. So konnte Timm billig Fenster, Türen, Fußbodenbretter, Balken und Schalholz in Mengen aufkaufen, auch Mauersteine, Öfen und Herde. Hinter den Wohngebäuden waren noch zwei langgestreckte Gebäude errichtet worden. Ein Stallgebäude in 22 Abteilungen, so dass zu jeder Wohnung ein Stallraum von 8 m² kam. Das andere Closettgebäude mit 22 ein mal 3 m großen Räumen mit Eimern als sogenannte Plumpsklo. Zu jeder Wohnung kam am Ende des Grundstücks noch ein Stück Land von je 100 m². In jeder Wohnung war ein Gasanschluss. Ein einfacher Schlauchhahn auf den ein Gassschlauch mit Gummisteckmuffen aufgesteckt wurde, eine damals übliche Anschlussart, daran ein einflammiger oder zweiflammiger kleiner gaskocher. Gasherde waren den Leuten unbekannt. Das Gas wurde freigegeben durch einen Münzzähler. Man musste 10 Pfennige einstecken um den Weg für Gas freizugeben. Das Gas strömte dann ungefähr 1 Stunde. Wer kein Geld hatte, konnte auch kein Gas verbrauchen. In den meisten Fällen halfen sich Nachbarn dann gegenseitig aus mit einer Münze. Das beruhte nämlich auf Gegenseitigkeit. Den Schlüssel für den Münzbehälter hatte der Kassierer des Hamburger Gaswerks, der stets in der ersten Monatswoche erschien und kassierte und den Verbrauch notierte. Für die Kinder war es immer ein großes Ereignis wenn der Mann die Münzen auf den Tisch ausschüttete,, zählte und gleich in Kassenfertige Rollen verpackte. Immer blieben einige Münzen übrig, wurden zurückgegeben und ein guter Start für die Hausfrau für den nächsten Monatsverbrauch.

Das erstaunliche an solcher Gasanlage war, das (jedenfalls auf dem GH) niemals ein Gasunfall passiert war, weil doch so ein Muffenschlauch manchmal unabsichtlich und unbemerkt abgerissen wurde.
In heutiger Zeit(1990) ist so ein Anschluss streng verboten, Gasgeräte müssen fest und für Nichtfachleute unlösbar an die Versorgungsleitung angeschlossen werden und die Geräte haben eine Zündsicherung. Und trotzdem passieren fast täglich Gasunfälle wobei ganze Häuser zerstört werden und oft Menschen zu Schaden kommen.

Wer waren nun die Mieter dieser Wohnungen? Ob nun mit Absicht oder per Zufall entzieht sich der Kenntnis des Chronisten, waren es ausschließlich Familien in sozial schwachen Verhältnissen und die Ehefrauen waren überwiegend ehemalige Baumschulmädchen aus dem deutschen Osten, hier Ostpreußen und Oberschlesien, die sich hier verheiratet hatten und somit sesshaft wurden. In drei Wohnungen gab es keine Kinder. So verteilten, als Stichzahl angenommen, in dem Zeitraum von 1935 – 1945 sich auf 18 Familien 53 Kinder, Minimum 2, Maximum 8 Kinder. Wegen der Kinder war Anfangs keine Frau Berufstätig, als nur Hausfrau. Von den Männern waren nur drei in der Baumschule beschäftigt. Die Mehrzahl hatte einen erlernten Handwerksberuf.
Einer der Männer, Maurer von Beruf, war als „Hausmeister“ eingesetzt, von den Kindern nur „der Vietz genannt. Er beaufsichtigte den Hof sehr gewissenhaft. Anfallende Kleinreparaturen, die er auszuführen hatte, machte er sehr geschickt.
Das Trinkwasser musste man von zwei vorhandenen Handschwengelpumpen holen, wobei permanent eine, mal diese mal jene, außer Betrieb waren. So war „der Vietz“ ständig gefordert die Pumpen in Betrieb zu halten.

Der Mietpreis für eine Zweizimmerwohnung betrug 1939 monatlich RM 22, -, eine Einzimmerwohnung RM 18,-.
Bis zur Unbewohnbarkeit der Häuser Anfang der 70er Jahre stieg die Miete auf das dreifache.
Am ersten Sonntag im Monat, am Vormittag, ging Timm persönlich von Wohnung zu Wohnung und kassierte die Miete persönlich. Ein kleiner, dicker, sehr gemütlicher und freundlich wirkender Mann. Er war sehr aufgeschlossen für die Sorgen und Nöte seiner Mieter. Jeder Wohnungsmieter hatte ein kleines Notizbuch in dem Timm mit Datum und Unterschrift den Erhalt der Miete quittierte. Während des Krieges ist bei einem Bombenangriff in seinem Hamburger Haus ums Leben gekommen. Seine Frau war zufällig während des Angriffs in der Rellinger Wohnung und hatte somit überlebt.

Ein großer Aufwand wurde für die Wäschereinigung betrieben. Wenn die Hausfrau für den Waschtag Waschmittel einkaufen musste, war es zu der Zeit allgemein üblich, beim Kaufmann zu verlangen: Sil, Persil, Henko. „Henko“ war das Einweichmittel zum Schmutzlösen für den Abend vor dem Waschtag. „Persil“ war das Wäschekochmittel und „Sil“ kam in das Spülwasser. Im heutigen Zeitalter der Waschmaschinen (1990) sind alle drei Mittel in einem vereinigt. Nach dem Kochen kam ja der „Hauptwaschgangang“, die Handarbeit der Waschfrau. In einer Wanne auf einem Holzbock in günstiger Arbeitshöhe musste die Wäsche auf einem Waschbrett kräftig gerüffelt werden.
Es gab zwei Waschküchen, darin ein mit Holz und Kohle zu beheizender Kessel zum Kochen. Am Vorabend des Waschtages musste die Wäsche in einer mit Wanne voll Wasser mit einem Einweichmittel zum lösen des Schmutzes eingeweicht werden. Am Waschtag selbst musste die Hausfrau, um die Tagesarbeit zu schaffen, um vier oder fünf Uhr aufstehen und den Kessel anheizen. Die Wäsche musste mit einem Kochmittel im Wasser gemischt mindestens eine Stunde kochen, dann in der Waschwanne auf einem Bock stehend auf einem Waschbrett von der Frau ordentlich durchgeruffelt werden. Hierbei mussten hartnäckige Schmutzflecken mit Kernseife oder grüner Seife noch einmal nachbehandelt werden. Dann wurde die Wäsche in einer Wanne mit Klarwasser ein Spülmittel darin gründlich ausgespült, von Hand ausgewrungen, dann kam die Wäsche auf einem dafür vorgesehenen Trockenplatz auf die Leine. Wenn es einem Waschtag nicht regnete, war die Hausfrau einer Großfamilie nur mit der Wäsche bis 9, 10 oder 11 Uhr abends voll ausgelastet und die Knöchel der Hände meistens wund gerieben.
Das Mittagessen war als Eintopf am Tag vorher schon gekocht. Alle anderen Hausarbeiten musste die Familie ausführen.
Die Toilettenbenutzung war auch ein Problem. Die meisten Einwohner hatten einen weiten Anmarschweg bis zum Hintergebäude. Unangenehm bei Regen oder gar im Winter bei Frost oder Nachts. Wenn die Eimer voll waren, wurden sie im Garten auf dem Komposthaufen entleert. Im Winter wenn Frostwetter war, musste im Garten ein Holzfeuer angezündet werden und der Inhalt herausgetaut werden.
Als Spielplatz für die Kinder, bot sich der von Gebäuden umschlossene Hof an. Wenn mal fast alle Kinder zusammen waren, am Wochenende oder in den Schulferien, war ein Lärm auf dem Hof wie auf einem Schulhof. Es hat sich zu jener Zeit nie jemand über Kinderlärm beschwert. Auch vertrugen sich die Kinder untereinander sehr gut. Es bildeten auch keine Klicken. Für heutige Verhältnisse (1990) bemerkenswert, herrschte eine hervorragende Solidarität (auch unter den Erwachsenen) ohne Altersunterschied. Wenn mal eine Schlägerei stattfand, was wirklich sehr selten vorkam, dann war meistens Diebstahl der Grund. Bei den Jungen wurde die böse Tat bei Entdeckung mit Fäusten ausgetragen. Nach der Entscheidung und Wiedergutmachung alles vergessen und die Gegner wieder gut Freund. Dabei kam es auch vor, dass der Bösewicht mal der stärkere war, dann wurde das Opfer noch einmal zum Opfer, das war aber wiederum schlecht für den Dieb, nun bekam er Kollektivkeile. Nie war aber einer lange nachtragend.
Bei den Mädchen sah es bei einer Schlägerei schlimmer aus. Es war ein Spucken, Kratzen, Beißen, Haarausraufen und Kleiderzerfetzen. Aus Respekt vor den kämpfenden Furien und auch unter ihrer Würde haltend, wagten die Jungen sich nicht bei einer Ausweitung einzugreifen, oft mussten dann Erwachsene schlichtend eingreifen. Bemerkenswert dabei ist, das solche Mäden im späteren Leben die besten Freundinnen wurden und noch als gestandene Großmütter in jeder Lebenslage füreinander da sind. An Spielen wurde alles gespielt, was damals bekannt war. Meistens mit „alle Mann“ Jungen und Mädchen, kleine 3jährige bis große 14jährige. Niemand wurde ausgeschlossen. Hier wurde eine Erziehung spielerisch durchgeführt, die eigentlich einzigartig war und sich positiv für das spätere Leben auswirkte. Die Kleinen lernten zu verlieren, wurden dadurch angespornt und vollbrachten oft wunderbare Leistungen. Die großen lernten Rücksichtnahme und es entwickelte sich in Einzelfällen ein rührendes Beschützertum. Zur Schule mussten die Kinder nach Halstenbek als sogenannte Gastschulkinder, daher: ab der Hallstraße bis zur Schwalbenstraße, der GH lag auf halber Strecke, waren die Kinder in Halstenbek schulpflichtig, wegen der weiten Entfernung zur Rellinger Schule. Die Kinder mussten damals ja noch zu Fuß gehen. Ein Fahrrad war ein Luxus. Auf dem Hof besaß nur ein Junge ein eigenes Fahrrad.
Für das gleiche Gebiet war die Post Halstenbek zuständig wegen der Entfernung nach Rellingen. Einmal im Jahr war Inventur in der Halstenbeker Schule. Dann hieß es: „Die Gastschulkinder einmal aufstehen“, die Kinder von der Rellinger Seite wurden gezählt. Für die Kinder musste die Gemeinde Rellingen Schulgeld an Halstenbek zahlen. Vor den großen Sommerferien fand jedes Jahr ein Sportfest statt, es beteiligten sich daran die Schulen Krupunder, Halstenbek und Rellingen. Es wurde bei den Sportwettkämpfen entschieden, welche Schule die besten Sportler hatte und es war sehr deprimierend für die Gastschulkinder, wenn sie gegen die eigene im Wettkampf antreten mussten.

Soweit die handschriftlichen Aufzeichnungen von Gerhard Schiewe.
 

Ergänzungen

1

2005 fiel die Ruine “Griemscher Hof” ohne äußere Einwirkung zusammen, die Gebäudereste wurden abgetragen und auf dem Grundstück erinnert nichts mehr an den “Griemschen Hof”.

2

In dem Buch “Halstenbek - Archivbilder” aus dem Sutton-Verlag, erschienen 2002, sind auf den Seiten 102 und 103 die Portraits von Martin Griem und seine Ehefrau Clara Ruge abgebildet.

3

Die folgenden Informationen entnahm ich der folgenden Homepage im April 2006.
http://www.scharnberg.homepage.t-online.de/bauernleben.htm

“. . . 3. Martin , geboren am 05. November 1865, konnte gleich nach der Schulentlassung, wegen Kopfschwäche, kein Geschäft lernen. Nahm in Wandsbek bei einem Großkaufmann Möller Stellung an. Musste dort auch den großen Garten mit unterhalten, wobei ihm die Lust zum Gärtnerberuf einging. Nach 2 1/2 Jahren trat er, auf Anraten seines Vaters und Brotgebers in die Gärtnerlehre bei der Kunstgärtnerei Harlie in Hamburg-Barmbek ein. Wegen seiner vielen Vorkenntnisse und seines fortgeschrittenen Alters lernte er nur ein Jahr. Gleich nach der Lehre nahm er Stellung in der Baumschule Matthiesen in Halstenbek an und blieb dort auch 2 1/2 Jahre. Er wurde nicht nur mit den Baumschularbeiten betraut, sondern führte auch die Buchführung aus. Matthiesen gewann großes Vertrauen zu ihm und bot ihm nach einem Vierteljahr an, ihm Matthiesen die Baumschule von 13 Tonnen Land abzukaufen. Matthiesen war auch gewiss etwas unter Druck, er sagte dem Alkohol etwas zu. Matthiesen forderte 22.000 Mark und verkaufte dann für 20.000 Mark. Martin Griem trat die Baumschule am 1. Februar 1891 an. Ein Jahr später heiratete er Clara, geborene Ruge, aus Tesdorf, Tochter des Bauern und Gastwirtes Ruge. Der Ehe entsprossen zwei Töchter Alma und Agnes und der Sohn Magnus. . . .”

4

Im Heimatverein-Archiv sind noch weitere Informationen in Form von Zeitungsberichten aus den Jahren 1965 bis 2005 vorhanden

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